Barrierefreiheit wird mit dem EU Accessibility Act zur Pflicht: Was Schweizer Softwareunternehmen jetzt wissen müssen
Am 28. Juni 2025 tritt der European Accessibility Act (EAA) vollständig in Kraft. Die EU-Richtlinie ist auf die digitale Zugänglichkeit von Produkten und Dienstleistungen für Menschen mit Beeinträchtigungen ausgerichtet (z.B. Seh- und Hörbeeinträchtigungen) und verpflichtet zahlreiche Anbieter digitaler Produkte und Dienstleistungen dazu, ihre Angebote barrierefrei zu gestalten – auch dann, wenn sie nicht in der EU ansässig sind. Damit betrifft der EAA auch Schweizer Softwareunternehmen, die digitale Lösungen in Europa vertreiben. Dieser Beitrag zeigt auf, für wen der EAA gilt, welche Anforderungen er an entsprechende Unternehmen stellt und wie sich diese darauf vorbereiten können.

Für wen gilt der EAA?
Der EAA basiert auf dem Marktortprinzip und ist damit nicht auf EU-Unternehmen beschränkt. Entscheidend ist, ob die Produkte oder Dienstleistungen auf dem EU-Markt angeboten werden und ob sie sich an Verbraucher:innen richten.
1. Anbieten auf dem EU-Markt
Ein Unternehmen bietet seine Produkte oder Dienstleistungen im Sinne des EAA auf dem EU-Markt an, wenn:
- Kund:innen aus der EU Zugang zu den digitalen Angeboten haben, z.B. durch Online-Plattformen oder Apps, oder
- eine Niederlassung oder ein Vertriebspartner in der EU existiert.
Ein rein geografischer Firmensitz ausserhalb der EU (wie z.B. in der Schweiz) schützt somit nicht vor der Anwendbarkeit des EAA. Massgeblich ist, ob die Dienstleistung faktisch in der EU angeboten oder über eine EU-Struktur vertrieben wird.
2. Ausrichtung auf Verbraucher:innen
Der EAA gilt für Produkte und Dienstleistungen, die für Verbraucher:innen bestimmt sind. Reine B2B-Unternehmen können dennoch betroffen sein, denn der EAA verwendet einen weiten Verbraucherbegriff: Verbraucher:in ist jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.
Ein Angebot fällt also in den Anwendungsbereich, wenn es sich (auch) an private Endnutzer:innen richtet – unabhängig davon, ob der Hauptfokus des Unternehmens auf B2B liegt. Es genügt, wenn Verbraucher:innen das Produkt nutzen können, z.B. durch Selbstregistrierung oder Online-Abschluss und dies auch dann, wenn sie nicht aktiv angesprochen werden.
Welche Anforderungen stellt der EAA an Unternehmen?
Betroffene Unternehmen sind verpflichtet, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten. Unter anderem bedeutet das:
- Barrierefreie Gestaltung digitaler Produkte und Services nach dem internationalen Standard WCAG 2.1 Level AA:
- Texte müssen ausreichend kontrastreich und skalierbar sein
- Inhalte sollen per Tastatur navigierbar sein
- Alternativtexte für Bilder und strukturierter Code sind erforderlich
- Formulare und Interaktionen müssen verständlich und zugänglich sein
- Zugängliche Vertrags- und Informationsprozesse:
- Preisangaben, AGB und wesentliche Produktinformationen müssen in zugänglicher Form bereitgestellt werden
- Barrierefreier Kundensupport:
- Supportkanäle müssen für Nutzer:innen mit Einschränkungen zugänglich sein (z.B. schriftlich, telefonisch, visuell)
Wie kann man sich auf den EAA vorbereiten?
Ein strukturierter Umsetzungsprozess hilft, Compliance mit dem EAA effizient zu erreichen:
1. Analyse & Klassifikation:
- Welche Produkte oder Dienste sind betroffen?
- Können Nutzer:innen aus der EU darauf zugreifen?
- Besteht eine (auch indirekte) Ausrichtung auf Verbraucher:innen?
2. Accessibility-Audit durchführen:
Technische Prüfung bestehender digitaler Angebote mit Tools wie Axe, WAVE oder Lighthouse
- Bewertung anhand der WCAG 2.1 AA
3. Quick Wins & langfristige Massnahmen:
- Schriftgrössen, Kontraste und semantische HTML-Strukturen optimieren
- Alternativtexte einfügen
- Navigation via Tastatur und Screenreader prüfen
4. Prozesse & Kommunikation anpassen:
- Barrierefreie Gestaltung von PDFs, AGB, Preisübersichten und Supportseiten
- Barrierefreie Kundenkommunikation und Dokumentation (E-Mail, Telefon, Website)
5. Awareness schaffen:
- Teams in Design, Marketing, Entwicklung und Legal für das Thema sensibilisieren
Was passiert bei Nicht-Einhaltung des EAA?
Die Nichteinhaltung des EAA kann – abhängig vom Mitgliedstaat – mit empfindlichen Strafen geahndet werden. In Deutschland beispielsweise wurden bereits entsprechende Sanktionen angekündigt, darunter Bussgelder und behördliche Massnahmen. Darüber hinaus drohen:
- Reputationsrisiken
- Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen
- Klagen durch Verbraucherverbände oder Wettbewerber
Fazit: Frühzeitiges Handeln schützt vor Risiken
Die Umsetzung des EAA ist kein reines „Legal-Thema“, sondern betrifft Produktentwicklung, UX-Design, Marketing, Kundenkommunikation und Unternehmensstrategie. Wer heute beginnt, barrierefreie digitale Angebote systematisch umzusetzen, reduziert nicht nur das rechtliche Risiko, sondern verbessert auch die Nutzererfahrung – für alle.